„Die Zivilgesellschaft muss diskutieren, wie wir unsere Grundrechte und unsere Privatsphäre schützen können“

Seit den Enthüllungen Edward Snowdens, ist bekannt, dass die NSA verdachtsunabhängig die globale Mobilfunkkommunikation, den Internetverkehr und die Telefondatenströme – und damit auch unbescholtene Bürger – überwacht. Die internationale Juristenkonferenz IALANA möchte mit einer Konferenz im Hessischen Landtag die Aktivitäten der NSA im Rhein-Main-Gebiet beleuchten. Sensor sprach mit Otto Jäckel, dem Vorsitzenden der deutschen Sektion der IALANA, über die Aktivitäten der NSA und welchen Zweck die Konferenz verfolgt.

Herr Jäckel, die NSA ist im Rhein-Main-Gebiet sehr aktiv. Was macht es so attraktiv für die NSA?

Der Datenknotenpunkt DE-CIX in Frankfurt, an dem nicht nur die Daten der Telekom und der internationalen Telefongesellschaften, sondern auch die von Google, Yahoo, Facebook und über 500 Internetprovidern in Glasfaserkabeln aus aller Welt zusammenfließen, ist sicher ein wichtiges Objekt der Begierde für die US-amerikanischen Nachrichtendienste. So wie der Frankfurter Flughafen ein wichtiger Hub für den internationalen Luftverkehr ist, spielt DE-CIX eine vielleicht noch bedeutendere Rolle für den internationalen Datenverkehr.

Otto Jäckel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden und Berlin ist Vorsitzender von IALANA Deutschland, der deutschen Sektion einer Internationalen Juristenvereinigung mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Bild: Privat
Otto Jäckel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden und Berlin ist Vorsitzender von IALANA Deutschland, der deutschen Sektion einer Internationalen Juristenvereinigung mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Bild: Privat

Wie genau sehen die Aktivitäten der NSA im Rhein-Main-Gebiet aus und wo ist die NSA aktiv?

Von großem Interesse für die Amerikaner dürften die am Finanzplatz Frankfurt fließenden Informationen sein, die für die USA ebenso wichtig sind wie der Berliner Politikbetrieb. Der ehemalige Direktor der NSA und spätere CIA-Chef Michael Hayden hat es gerade in einem Interview mit der „Zeit“ so ausgedrückt: „Wir spionieren nicht die Bösen aus, wir spionieren die Interessanten aus.“ Er hat damit eingeräumt, dass die Abwehr von Terroranschlägen nur eine untergeordnete Bedeutung für die US-amerikanische Spionage hat. Im Fokus steht jede Information, die für die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik und für ihre wirtschaftlichen Interessen von Bedeutung ist oder zukünftig von Bedeutung werden könnte. Dabei geht es nicht nur um das Handy von Frau Merkel und die Entscheider in Politik und Wirtschaft. Es geht auch um die Meinungsmacher in den Medien und darum, wie die einzelnen Bürger über bestimmte Fragen denken. Deshalb sammelt die NSA alles. Ihre Informationsgier ist unerschöpflich und ihre Speicherkapazitäten sind praktisch unbegrenzt.

Welche Rolle nehmen bei den Aktivitäten der NSA die Clay Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim und das European Technical Center in Mainz-Kastel ein?

Die Clay Kaserne in Wiesbaden wird gerade mit einem Kostenvolumen von über einer halben Milliarde US-Dollar ausgebaut. Wie die Redakteure John Goetz und Christian Fuchs recherchiert haben, entsteht hier bis Ende 2015 das „Consolidated Intelligence Center“ der militärischen Nachrichtendienste der USA mit der Stationierung der 66th Intelligence Brigade der NSA und dem Hauptsitz des militärischen Geheimdienstes INSTCOM in Deutschland mit etwa 1.500 Soldaten. Mainz-Kastel beherbergt einen gesonderten Standort der NSA. Telefonate, SMS, Mails, Daten aus sozialen Netzwerken sowie Daten aus Nachrichtensatelliten werden in Wiesbaden zusammengeführt und für Operationen des US-Militärs und für die Spionageabwehr ausgewertet. Es kann vermutet werden, dass die Daten nicht nur für das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart, sondern auch für die Operationen im Nahen Osten und in Zentralasien von Bedeutung sind und z.B. an das Air and Space Operations Center auf der Air Base Ramstein bei Kaiserslautern weitergeleitet werden. Dort fließen alle Informationen für den Drohnenkrieg der USA in Afghanistan, Pakistan, im Jemen und in Somalia zusammen.

Sind diese Überwachungsaktivitäten überhaupt legal?

Die Regierung Obama beruft sich ja darauf, dass sie sich mit ihren Spionageaktivitäten an US-Recht halte. In der Tat bietet Abschnitt 702 des „Foreign Intelligence Amendment Act“ (FISA) bei entsprechender gerichtlicher Anordnung und Section 215 des Patriot Act eine Rechtsgrundlage für Ausspähaktionen. Es liegt aber auf der Hand, dass nicht nur das Abhören des Handys der Kanzlerin und anderer Regierungsmitglieder sondern auch die anlasslose Überwachung und Speicherung der Daten aller übrigen Bundesbürger kaum mit der Bekämpfung des Terrorismus gerechtfertigt werden kann. Die massenhafte Überwachung greift in die Privatsphäre der Bürger ein, die in Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte geschützt ist, der auch von den USA ratifiziert wurde. In Deutschland haben die Amerikaner darüber hinaus das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses in Art. 10 des Grundgesetzes zu beachten. Eine Verletzung dieser Rechte ist in Deutschland strafbar. Die Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Worts, die Verletzung des Briefgeheimnisses, das Ausspähen von Daten, das Abfangen von Daten, das Vorbereiten des Abfangens und der Ausspähung von Daten und die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses stehen in Deutschland nach den §§ 201 ff. des Strafgesetzbuchs unter Strafe.

Am 11. Und 12. September veranstaltet die internationale Juristenvereinigung IALANA, deren deutscher Sektion Sie vorstehen, die Konferenz „Unser Nachbar NSA – Geheime Aktivitäten der US-Nachrichtendienste in Deutschland. Was erhoffen Sie sich davon?

Mit der Verleihung des Whistleblowerpreises an Edward Snowden hat IALANA Deutschland gemeinsam mit der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler einen wichtigen Impuls in der öffentlichen Diskussion um die Konsequenzen aus dem NSA-Skandal gegeben. Mit unserer Veranstaltung in Wiesbaden wollen wir die Diskussion verbreitern und vertiefen: Welche neuen Entwicklungen sind mit der totalen Erfassung und Überwachung unserer Kommunikation verbunden? Wie bekommen wir die vielköpfige Hydra der Geheimdienste wieder unter Kontrolle? Welche rechtlichen, institutionellen und informationstechnologischen Möglichkeiten sind hierfür geeignet? Die Diskussion hierüber können wir nicht dem Politikbetrieb allein überlassen. Wie wir unsere Grundrechte und unsere Privatsphäre schützen, muss vor allem in der Zivilgesellschaft selbst diskutiert werden. Dazu erhoffe ich mir spannende Informationen und eine lebhafte Debatte. Ich empfehle, sich schnell für die Veranstaltung anzumelden.

Herr Jäckel, vielen Dank für das Interview.

Zuerst erschienen im Sensor Wiesbaden

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