„Es ist wirklich dumm, nur Rockabilly oder 50er-Jahre-Rock’n’Roll zu hören.“

Bild: Sir BaldEr ist der Mann der tausend Pseudonyme. Sein Output ist enorm. Die Qualität trotzdem fast immer erstklassig. In der Zeit, in der die meisten Bands ein Album aufnehmen und veröffentlichen, haut er fünf Stück raus. Die Rede ist von Hipbone Slim aka Sir Bald Diddley aka The Bald Bomber aka Baldie McGhee. Ob der Gute unter Schizophrenie leidet und was ein gutes Rock’n’Roll-Album ausmacht, erzählte uns der 45-jährige Engländer in folgendem Interview.

Auf Deiner aktuellen Doppel-CD „Hipbone Slim vs. Sir Bald Diddley“ sind 40 Deiner Songs von vier verschiedenen Bands enthalten. Und für jede Band nutzt Du ein anderes Pseudonym. Ist das nicht ein bisschen schizophren oder liebst Du es einfach die Leute an der Nase herumzuführen? Oder steckt gar ein System dahinter?

Ja, Du hast Recht. Das mag für Außenstehende ein wenig verwirrend sein. Den Namen Sir Bald Diddley nutze ich seit 1990, als ich mit Sir Bald Diddley & his Right Honourable Big Wigs begonnen habe. Der Name Hipbone Slim kam hinzu, als wir 2003 die Band Hipbone Slim gegründet haben. Mittlerweile sind es noch ein paar mehr. Ich spiele gerne in vielen verschiedenen Bands, weil ich es liebe viele Lieder in verschiedenen Stilen zu schreiben. Aber es gibt kein System, wann in welchen Namen nutze. Du kannst mich einfach Sir Bald nennen.

Ok, bleiben wir bei Sir Bald. Wäre es nicht leichter nur einen Namen zu nutzen, damit Du dich besser promoten kannst? Vielleicht wärst Du nicht nur berühmt, sondern auch reich?

Ja, es könnte schon sein, dass nur ein Name die Arbeit für mein teures Marketing-Team sehr erleichtern würde. Aber ich bin nicht sicher, ob mich das unbedingt wohlhabender machen würde.

Sind die Songs auf Deiner aktuellen Doppel-CD alle unveröffentlicht oder sind die bisher nur auf CD noch nicht erschienen?

Die meisten Songs der Compilation sind bisher auf CD noch nicht veröffentlicht worden. Ein paar davon sind bis jetzt auch komplett unveröffentlicht. Die Songs stammen von verschiedenen 7”s, den Compilations “Sir Bald’s Hairy Guitar” und “Sir Bald Battle Of The Bands”, beide bei Beat Records erschienen, sowie der Hipbone Slim – Go Hog Wild 10”, die bei Folc Records erschienen ist.

Die meisten unserer Leser werden Dich wahrscheinlich von Deinen zahlreichen Rock’n’Roll-Bands kennen. Aber Du spielst doch auch in der Ska-Band Nine Ton Peanut Smugglers.

Ja, auch da spiele ich Gitarre, schreibe die Lieder und bin Bandleader.

Gibt es einen Unterschied in einer Ska-Band Gitarre zu spielen, statt in einer Rock’n’Roll-Band? Und unterscheidet sich das Ska-Publikum von den Rock’n’Rollern – von der Frisur vielleicht einmal abgesehen?

Es ist total langweilig, zu Ska Gitarre zu spielen. Es ist einfach eine immer wiederkehrende Belastung für die Handgelenke. man spielt immer nur Skank, Skank, Skank. das ist der Hauptunterschied. Aber die Peanuts spielen auch R’n’B, Soul und Rock’n’Roll, sodass Abwechselung genug da ist. Die Frisuren des Publikums sind uns dagegen vollkommen egal. Wir spielen alle Arten von Gigs, solange wir vor Menschen spielen, die Musik lieben. Wir hassen alle, die nur auf einen Stil festgefahren sind oder die behaupten, man müsse einen bestimmten Haarschnitt haben, um eine bestimmte Musik hören zu können. Das ist Bullshit!

Demnächst erscheint ja auch eine Split-7“ mit den Nine Ton Peannut Smugglers und Hipbone Slim. Was können wir von der Single erwarten? Eine hübsche Kneipenschlägerei zwischen Teddyboys und Skinheads?

Ja, wir machen eine Single für Scorcha Records. Ich denke, dass die im Mai oder Juni erscheinen wird. Ich muss nur noch den Hipbone-Slim-Song noch mischen. Zu einer Kneipenschlägerei wird die Single aber hoffentlich nicht führen.

In wie vielen Bands spielst Du derzeit eigentlich?

Derzeit spiele ich fest in drei Bands. Das sind Hipbone Slim, die Rock’n’Roll, Rockabilly, Rhythm ‘n’Blues mit Surf und Garage-Einflüssen spielen. Dann noch meine Ska-Band Nine Ton Peanut Smugglers. Und bei den Kneejerk Reactions, die mehr so Garage, Beat und Rhythm’n’Blues spielen.

Eine weitere Band von mir, mit der ich gelegentlich spiele, ist Juke Boy Barkus & Baldie McGhee, eine Zwei-Mann-Bluesband im Stil von Dr. Ross, Joe Hill, Jessie Fuller, lazy Lester oder Slim Harpo. Ich spiele Gitarre, Bassdrum, Persussions, singe, spiele Doppelbass und Kazoo. Andere Bands, in denen ich gespielt habe, die es aber nicht mehr gibt, waren The Beat Seeking Missiles, Louie & the Louies und The Legs. Die letzten beiden sind auch auf der The Ringmaster: Hipbone Slim vs. Sir Bald Doppel-CD zu hören.

Und in wie vielen Bands hast Du bis heute gespielt?

Puh, ich habe wirklich keine Ahnung. In 20, 30 vielleicht?

Du hast ja auch schon in Punkbands gespielt, spielst Ska, machst Blues. Es scheint, als wärst Du das Gegenteil eines engstirnigen Rock’n’Roller, der nichts anderes hört als Elvis und Co.

Ach, es gibt auch viele Dinge, die ich nicht leiden kann. Aber ich mag viel verschiedene Sachen. Es ist wirklich dumm, nur Rockabilly oder 50er-Jahre-Rock’n’Roll zu hören.

Und welche Musikrichtungen gehen gar nicht?

Ich kann mir nur schwer vorstellen, jemals Disco, Speedmetal, House oder Indie-Pop zu spielen.

Wenn Du einen neuen Song schreibst, weißt Du dann von vorneherein, für welche Band das Lied sein wird?

Da gibt es keine bestimmte Regel oder Formel. Gewöhnlich beginnt alles mit einem Gitarrenriff. Ich klimpere viel auf meiner Gitarre herum und plötzlich habe ich eine Idee, aus der sich dann mehr entwickelt. Manchmal habe ich aber auch erst den Songtitel oder ein paar Textzeilen im Kopf und erst dann kommt die Gitarre ins Spiel. Und manchmal höre ich auch einfach eine Schallplatte und versuche dann diesem Gefühl nachzueifern. Es kommt aber auch vor, dass ich schon von vornherein eine bestimmte Band oder einen bestimmten Stil im Kopf habe oder ein Album fertigzubekommen muss und dann dementsprechend ans Songwriting herangehe. Es ist aber auch schon passiert, dass sich Songs werden dem Schreibprozess so verändert haben, dass sie schließlich bei einer anderen band gelandet sind. Du siehst also: Es gibt keinen festen Plan.

Ich stelle es mir schwer vor, in so vielen Bands zu spielen und dabei den Überblick zu behalten.

So viele Bands sind es derzeit ja nicht. Es sind zurzeit nur drei aktive Bands und da spielt sich das Meiste bei Hipbone Slim ab. Ich schätze mal 75 Prozent meiner Zeit verwende ich für die Band. Mit den Peanuts spielen wir nur ein paar Gigs und bald wird es ein neues Line-Up der Kneejerk Reactions geben, mit Nass Bouzida an der Orgel und Trev Harding am Bass von The Bongolian und Big Boss Man, da wir bald ein neues Album aufnehmen werden.

Und welche der Bands ist Dein Favorit?

Das ist ganz klar Hipbone Slim & the Kneetremblers.

In welchem Alter hast Du eigentlich angefangen, Musik zu machen?

Ich habe damit in meinen frühen Teenagerjahren begonnen. Damals habe ich alles gespielt: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Ich habe gesungen. Und das alles in vielen verschiedenen Rockabilly-, Psychobilly-, Blues-Bands, Punk-, Rock’n’Roll-, Instrumental- und sogar in Hillybilly-Bands.

Und wie kamst Du zu Rock’n’Roll und Surf? Gab es da einen magischen Moment, der alles ins Rollen brachte?

Ich liebe Rock’n’Roll schon seit dem ich ganz, ganz jung war. Die erste Musik, an die ich mich erinnern kann, war von Duane Eddy, Johhny & The Hurricanes und den Piltdown Men, deren 7”s mein Vater immer laufen ließ. Damals dürfte ich vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Später dann hörte ich die Schallplatten meiner Eltern, die sie von Buddy Holly, Elvis oder Johnny Cash besaßen.

Was war die erste Schallplatte, die Du selbst gekauft hast?

Das war “Daddy Cool” von den Darts. Da war ich neun Jahre alt. Zum Rockabilly bin ich über die eher kommerziellen Bands wie Matchbox gekommen, die ich im Alter von zehn, elf Jahren sehr gemocht habe. Auf das Johnny Burnette Trio stieß ich, als ich etwa 13, 14 Jahre alt war. Etwa zum selben Zeitpunkt oder kurz danach entdeckte ich Link Wray, was sehr wichtig für mich war und ist. Und als ich von Meteors “Attack of the Zorchman” in einem Plattenladen hörte, war das ein sehr großer “Wow”-Moment für mich.

Vom Konsumenten zum Produzenten ist es ja ein großer Schritt. Warum bist Du selbst aktiv geworden?

Damit ich mich zum Narren machen kann.

Kannst Du dich noch an Deine erste Band erinnern?

Meine erste Band hatte ich mit 12 oder 13 Jahren. Sie bestand aus Freunden und wir probten in der Garage meiner Eltern. Und wir spielten ziemlich unbeholfenen Rock’n’Roll.

Dein Gitarrenspiel wird häufig mit dem von Link Wray und Dick Dale verglichen. Sind das Deine All-Time-Favourites?

Wenn ich nur zwei Gitarristen nennen darf, die mich inspiriert haben, dann würde ich Bo Diddley und Link Wray nennen. Dicht gefolgt von Dick Dale, Dave Davies, Chuck Berry, Roland Janes, Johnny Meeks, Ike Turner, Micky Baker und, Dick Taylor. Ich liebe auch Cliff Gallup und Django Reinhardt, aber die beiden sind zu gut und zu jazzy, um mich mit meinem ungeschickten Gitarrenstil zu beeinflussen.

Du hast eine Zeitlang Deine Platten auf Deinem eigenen Label Alopecia Records veröffentlicht. Ist das Label noch aktiv?

Nein, nicht wirklich.

Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Ein Tag hat halt nur 24 Stunden. Ich bin einfach zu sehr damit beschäftigt, Songs zu schreiben, live zu spielen und neue Platten aufzunehmen. Und nicht zu vergessen, ich habe noch einen normalen Job. Es ist eine harte und zeitintensive Arbeit, ein Label am laufen zu halten. Und oft genug zahlt man dabei noch drauf.

Deine Platten haben einen sehr warmen, altmodischen Sound. Nutzt Du analoges Equipment?

Ja, ich benutze nur Vintage-Equipment. Alte Gitarren, alte Verstärker und altes Studio-Equipment. Wenn du gut spielst, mit dem richtigen Gefühl und der richtigen Einstellung, dann klingt es auch gut. Aber Du brauchst alles davon. Wenn dir das richtige Gefühl fehlt, dann vergiss es! Viele Bands vergessen das Wichtigste: die Songs. Sie kümmern sich stattdessen mehr um die richtigen Klamotten, die richtige Frisur oder das richtige Equipment. Aber wenn die Songs nicht gut sind, nutzt das alles nichts. Aber wenn die alten Geräte in den richtigen Händen sind, dann klingt es nach richtigem Rock’n’Roll.

Was können wir in der nächsten Zeit von Dir erwarten? Neue Platten? Neue Auftritte?

Einiges. In diesem Jahr stehen einige neue Platten an. Im Februar erscheint die „Ugly Mobile LP/CD von Hipbone Slim und im Mai „Show Me/Git It“-7“. Im mai oder Jjuni kommt dann die erwähnte Hipbone Slim/Nine Tons Peanuts Smugglers-Split-7“. Etwa zur selben Zeit soll auch ein neues Album der Kneejerk Reactions veröffentlicht werden. Im Herbst sollen zudem neue Alben von Hipbone Slim & The Jugs sowie von den Nine Ton Peanut Smugglers erscheinen. Und gegen Ende des Jahres steht ein weiteres Album von Hipbone Slim an. Und einige Singles sind auch noch in Planung. Und natürlich habe ich vor so viele Gigs wie möglich zu spielen.

Das ist ein straffes Programm. Die letzten Worte gehören Dir.

Dann möchte ich an dieser Stelle bei Bruce Brand bedanken, der in all meinen Bands Schlagzeug spielt. Bruce ist der Kultdrummer für viele, viele Garage-, Punk-, Beat- und Rock’n’Roll-Musiker weltweit. Er hat schon in so legendären Bands wie den Milkshakes, den Headcoats, den Pop Rivets, bei Billy Childish, Holly Golightly und den Masonics gespielt. Außerdem spielte für die Pretty Things, Downliner Sect, Wreckless Eric, Mungo Jerry und Eddie Tenpole sowie organisierte die Veröffentlichung zweier Link-Wray-Alben.
Ansonsten trinkt Bier und tanzt.

Ok, wird gemacht. Vielen Dank für das Interview!

Kontakt: alopeciarecords@hotmail.com 

Ursprünglich erschienen im Dynamite Magazine #82

Diskografie:

Hipbone Slim & the Kneetremblers: Ugly Mobile, Beast/Dirty Water, 2013, LP/CD

Hipbone Slim Vs. Sir Bald, Dirty Water, 2012, Doppel-CD

Go Hog Wild, Folc, 2012, 10”

Square Guitar, Beast, 2011, CD, Dirty Water, 2011, LP

Louisiana Sun (Split with Mama Rosin), Voodoo Rhythm, 2011, LP/CD

The Kneeanderthal Sounds, Voodoo Rhythm, 2010, LP/CD

Hold On, It’s, Kizmiaz, 2010, 7”

The Sheik Said Shake, Voodoo Rhythm, 2008, LP/CD

Have Knees Will Tremble, Voodoo Rhythm, 2004, LP/CD

What Do You Look Like?, Voodoo Rhythm, 2004, 7”

Snake Pit,Voodoo Rhythm, 2003, LP/CD

The Kneejerk Reactions:

The Un-Beatable Sounds Of, Vinyl Junkie, 2010, 7”

The Electrifying Sounds Of, Screaming Apple, 2008, LP/CD

Andere Platten mit Sir Bald:

Sir Bald’s Battle of the Bands (mit Hipbone Slim, Louies, Kneejerks, The Legs etc.) Beast, 2012, LP

The Beat Seeking Missiles – Break My Fall/Dr Strangelove, Dirty Water, 2011, 7”

Sir Bald’s Hairy Guitar (mit Hipbone Slim, Louie & The Louies & The Legs), Beast, 2010, LP

Louie & the Louies -The Exotic Sounds Of, Butterfly, 2008, 7”

Louie & the Louies -Standoff/Birdman, Alopecia Records, 2007, 7”

Nine Ton Peanut Smugglers – What I Gotta Do, String Rabbit, 2011, 7”

Drop Some Leg!, Nine Ton Records, 2009, LP

Professor Moriarty, I Presume / Dance Like A Wide Man, Jewels, 2006, 7”

If The Coast Is Clear / Hugh Mingus / Baldhead / Drugs Mule, Nine Ton, Unbekannt, 7”

Sir Bald Diddley and his Wig Outs:

Surf Party EP, Bedrock Records, 1995, 7”

Get Ahead Get A Fez!, Alopecia Records, 1995, 10″

What’s In Your Fridge?, Alopecia Records, 1994, LP

Beach Party !!, Bedrock Records, 1994, 7”

Surfin‘ With Sir Bald Diddley And His Right Honourable Big Wigs, Alopecia Records, 1992, LP

More… Live!, Alopecia Records, Unbekannt, 7”

Introducing, Alopecia Records, Unbekannt, 7”

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