NEUE GEMA TARIFE: PANIKATTACKE ODER REALE BEDROHUNG?

Die Uhr tickt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Ausgabe bleiben noch ungefähr 220 Tage, dann werden sich in Wiesbadens Clubs die Diskokugeln aufhören zu drehen – befürchten viele Betreiber von Diskotheken und Gaststätten.

Die Buchstabenkombinationen U-V und M-V sind der Grund, dass Clubbesitzer zu Untergangspropheten mutieren. Hinter den Kürzeln stecken die neuen Veranstaltungstarife der Gema, die zum 1. April 2013 in Kraft sollen und die laut Dehoga, dem deutschen Hotel- und Gaststättenverband, für viele Betriebe die Gema-Gebühren in existenzgefährdende Höhe treiben werden.

Aus elf mach zwei

Bisher gibt es elf verschiedene Tarife nach denen die Gebühren für die Musiknutzung in Diskos, Bars, Gaststätten oder auf Karnevalsveranstaltungen berechnet werden. Diese werden nun zu den Tarifen U-V und M-V zusammengefasst. Damit soll die Tarifstruktur einfacher und fairer werden, da künftig alle im Verhältnis gleich viel für ihre Musiknutzung zahlen würden, sagt die Gema. Die Gebühren berechnen sich künftig nach Veranstaltungsfläche und Eintrittsgeld, wobei die Gema von einer Flächenauslastung von zwei Dritteln ausgeht. Bei 100qm² Raumfläche rechnet sie also mit 66 Gästen. Zehn Prozent der Eintrittsgelder sollen an die Gema, sprich die Urheber gehen. Die neuen Tarife sollen zudem gestaffelt eingeführt und erst ab 2018 voll wirksam werden.

Einige Clubbetreiber fürchten Horrorszenario

Wiesbaden droht ein Clubsterben, sagt Julius Wagner, Hauptgeschäftsführer der Dehoga Hessen. „Die Gema-Tarifreform bedroht in einer nie da gewesenen und branchenfernen Art und Weise die Clublandschaft Wiesbadens.“ Auch Jörg Lichtenberg, Inhaber des Gestuet Renz, glaubt, dass viele Läden der Landeshauptstadt dann dicht machen müssten. „Wir müssten nach derzeitigem Kenntnisstand das fünffache der heutigen Gebühren zahlen. Das bedroht uns in unserer Existenz“, sagt er sagt er und befürchtet Auswirkungen auf das Programm seines Clubs. „An Donnerstagen und die Sommermonate müssten wir dann möglicherweise künftig aus Kostengründen geschlossen bleiben.“

Ein Clubsterben möchte Carsten Schack vom Schlachthof nicht prognostizieren, sieht aber noch andere Leidtragende der Reform. „Es ist naheliegend, dass vor allem die mittleren und kleineren DJs weniger Gage und die Angestellten weniger Lohn bekommen sowie und die Eintrittspreise steigen könnten.“

Clubbetreiber uneins über Auswirkungen

Andere Stimmen blicken der Reform entspannter entgegen. „Nach ersten Erkenntnissen wird sich für uns nicht viel ändern“, sagt Andreas Schidlowski von der Kreativfabrik. „Erstens ist unser Raum sehr klein und zweitens kostet der Eintritt bei den meisten Veranstaltungen nicht mehr als fünf Euro. Partys würden bei uns vermutlich sogar weniger Gema-Gebühren kosten. Von daher sehe ich für uns nicht die Gefahr, dass uns die neue Tarifstruktur wirtschaftlich schlechter stellt.“

Der Wiesbadener Musikunternehmer Andy Ludyk glaubt nicht, dass ein einziger Club aufgrund der Gema-Tarife wird schließen müssen. „Wir reden hier über eine noch nicht feststehende prozentuale Beteiligung an den Eintrittseinnahmen, während die Umsätze anderer Natur, zum Beispiel aus dem Getränkeverkauf, außen vor bleiben.“

Abgemilderte Tarife dank Karnelvalisten

In der Tat sind die Veranstaltungstarife noch nicht in Stein gemeißelt. In Verhandlungen mit dem Bund Deutscher Karneval (BDK) ist die Gema schon von ihren ursprünglichen Vorschlägen abgerückt. Es ist gut möglich, dass Verhandlungen mit anderen Verbände weitere Erleichterungen bringen werden. Und: Derzeit werden die von der Gema veröffentlichten Tarife vor der Schiedsstelle des Deutschen Marken und Patentamts verhandelt, die bei Streitigkeiten zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzern urheberrechtlich geschützter Werken vermittelt. Gut möglich, dass es weitere Änderungen geben wird. Spätestens Juni 2013 wird ein Schiedsspruch ergehen. Das Verfahren wurde nötig, da die Verhandlungen zwischen der Gema und Bundesvereinigung der Musikveranstalter, der größten Nutzervereinigung in Deutschland, zu keinem Ergebnis führten.

Und was sagen die Urheber? Martin Schmidt, Komponist der Wiesbadener Band The Razorblades und Mitglied der Gema, glaubt auch nicht an ein Clubsterben. „Dazu wird es nicht kommen. Ich bin überzeugt, dass nach Verhandlungen vor dem Schiedsgericht ein vernünftiger Kompromiss für beide Seiten – Clubs und Künstler – herauskommt.“ Im Übrigen gehe er mit dem Ziel der Reform, zehn Prozent der Eintrittsgelder an die Urheber abzuführen, vollkommen konform.

Dieser Artikelist ursprünglich im Sensor Wiesbaden 5/2012 erschienen.

Bei meinen Recherchen zu den neuen Veranstaltungstarifen der Gema interviewte ich einige Protagonisten der Wiesbadener Musikszene. Da mir diese recht ausführliche und auch interessante Antworten auf meine Fragen gaben, die ich nicht alle in dem Artikel unterbringen konnte, werde ich die Antworten hier in den nächsten Tagen veröffentlichen, um euch hoffentlich einen noch etwas tiefergehenden und umfassenderen Blick auf das Thema zu geben. 

12 thoughts on “NEUE GEMA TARIFE: PANIKATTACKE ODER REALE BEDROHUNG?

  1. Das die Gema nicht „die Urheber“ sind, ist aber schon klar?

    Diese Erhöhungen werden vor allem an Dieter Bohlen und co gehen (lt. Wikipedia gehen 64% an die wenigen Vollmitglieder), von dem Anteil den die Gema ausschüttet (das sind ja auch keine 100%). Insofern werden Razorblades davon nichts sehen.

    Und bei den Veranstaltungen, um die es hier geht, erfolgt i.d.R. auch keine Ausschüttung an die Urheber, denn dort werden keine Listen der gespielten Songs, wie bei Konzerten, erstellt. D.h. diese Erhöhung wird an den meisten Urhebern vorbei fliessen.

    Und die Clubs sollten vielleicht einfach ihren Eintritt auf 2 Euro (Mindestbetrag bei der GEMA) verringern, ihre Fläche runter rechnen und Geld nehmen für andere Dinge (auf’s Klo gehen, tanzen usw.).

    1. Dass die Gema nicht „die Urheber“ sind, ist klar. Natürlich. Das von den Ausschüttungen nicht unbedingt die kleinen Bands und Künstler profitieren, ist auch klar. Dass die Gema an sich reformbedürftig ist und dort nicht alles super ist, ist auch klar. Dass nicht 100% ausgeschüttet werden, sondern deutlich weniger (fast 20% der Einnahmen gehen für Verwaltungskosten drauf), ist auch klar.
      Ob Martin von der Gema Tantieme bekommt, musst Du ihn selbst fragen. Aber ich denke, wenn er nur Mitgliedsbeitrag zahlen würde, und das wäre es, wäre er wahrscheinlich nicht mehr Mitglied.
      ABER, darum geht es in dem Artikel ja auch nicht. Sondern darum, ob mit der Tarifreform ein großes Clubsterben in Wiesbaden einhergeht oder nicht. Und da sind zumindest bei den Leuten, die ich gefragt habe, die Meinungen unterschiedlich.
      Ich persönlich denke nicht, dass ab April auf einmal alle Clubs Pleite gehen. Für einige wird das eine große Mehrbelastung, sicher. Und vielleicht schließen auch Läden. Aber vielleicht sind die höheren Tarife dann auch nur das berühmte letzte Tröpfchen, dass das Fass zum überlaufen bringt und die Gema dient dann als Sündenbock für evtl. schlecht laufende Geschäfte.
      Und wahrscheinlich werden etliche Clubs ab April dann so oder so ähnlich verfahren, wie Du es beschrieben hast. Und ob dann wirklich mehr Geld an „die Urheber“ fließt, wird sich zeigen.

  2. Die Idee, dass die Erhöhung an Dieter Bohlengeht, klingt im aufgeheizten Politklima cool, ist aber leider völliger Unfug.
    Die GEMA verteilt Geld anhand der Verwertung von Musik. Da Dieter Bohlen oft gespielt wird, bekommt er viel Geld. ich mag seine Musik nicht, aber scheinbar viele andere, von daher ist das dann auch irgendwie in Ordnung.
    Die GEMA ist auch kein kommunistischer Verein, der alle Einnahmen gleichmäßig auf alle Mitglieder verteilt, sondern wer oft spielt, im radio läuft und Filme/Werbung etc. vertont, bekommt für die Nutzung Geld. Dahinter steckt – wie ich aus eigener erfahrung weiß – ziemlich viel harte Arbeit. Wer nur Mitglied ist und nie aufführt usw. bekommt auch kein Geld – aber das gilt auch für Handwerker, die nicht arbeiten, Geschäfte, die nichts verkaufen usw..
    Es ist äußerst deprimierend, dass die ganze Diskussion auf tiefstem Stammtischniveau abläuft und sich wirklich kaum jemand für die reale Situation von Musikern interessiert…ich geb da gerne Auskunft 🙂

    1. Was heißt denn konkret „oft gespielt wird“?
      In Club gibt es keine Playlisten, d.h. es werden nur Radio und Verkaufszahlen verwendet. Das ganze ist nicht Transparent und welche Verteilungsschlüssel verwendet werden weiß niemand genau.

      Das die Auseinandersetzung für dich auf „Stammtischniveau“ geführt wird, kann u.U. genau daran liegen, dass es eben von der GEMA keine Zahlen darüber gibt, wer wieviel bekommt. D.h. es kann immer nur spekuliert werden, wer tatsächlich von der GEMA profitiert.lt. Wikipedia werden nur 40% an Mitglieder ausgezahlt und davon nur 25% an die grosse Masse der sogenannten angeschlossenen Mitglieder.

      Und wenn du schon den Handwerker erwähnst – das empfinde ich als Stammtischniveau – der kann auch nichts dafür verlangen, dass du seine Arbeit ankuckst oder wenn jemand seine Arbeit „kopiert“. Der wird nur für die einmalige Arbeit bezahlt. Andere Künstler z.b. Maler oder Bildhauer kassieren auch nicht ihr Leben lang und 70 Jahre danach für ihre Werke. Insofern ist die Stellung von Musikern in der Gesellschaft sehr privilegiert. Sie erhalten immerhin knapp eine Milliarden Euro im Jahr zusätzlich zu den unmittelbaren Vergütungen, z.b. durch Gagen und Werksverträgen.

      Wie auch immer, sowas wie die GEMA ist sicher an sich keine schlechte Sache, aber ich glaube nicht, dass die die davon im Moment vor allem profitieren es verdient haben.

      1. In Diskos und Clubs verwendet die Gema sogenannte „Black Boxes“, das sind Aufnahmegeräte, mit denen sie in 120 Clubs stichprobenartig jeweils eine Stunde Musik DJ-Set pro Woche aufzeichnet. Diese Stichproben werden dann auf die Gesamtheit aller bei der Gema registrierten Diskos und Clubs hochgerechnet. Dazu zählen aber nicht nur coole Indie-Diskos, Elektroclubs, sondern auch Läden in denen Schlager, Oldies oder die neusten Chartshits gespielt werden. Die Gema sagt, sie würde 90 Prozent der aufgezeichneten Lieder erkennen. Zu den 10 Prozent gehören meist Neuheiten oder wirkliche Undergroundsachen, die bei der Gema niemand erkennt oder die schlicht nicht in der datenbank sind, weil die Urheber nicht in der Gema sind.
        Auf diesem Weg versucht die Gema zu ermitteln, welche Künstler wie oft gespielt werden und verteitl entsprechend die Ausschüttungen.
        Radio-Airplay und Verkaufszahlen spielen für die Ermittlung wie oft etwas in Diskos gespielt wird, keine Rolle. Aber die Wahrscheinlichkeit ist natürlich groß, dass der Nummer-1-Hit deutlich öfter in Diskos (und im Radio) gespielt wird als die kleine Punkrock-Single von nebenan.

  3. Wie gesagt, das ganze ist einfach nicht Transparent.

    Wir Wissen nicht wer die vielen 100 Millionen bekommt, die die GEMA verteilt. Wenn es so wäre, dass in einem Tranparenten System wirklich D. Bohlen 10% aller Aufführungen (sei es im Radio, Werbung oder Clubs) hat, dann hat er auch 10% der Ausschüttungen verdient. Aber ist es so?

    Neben der Frage der gerechten Verteilung bleibt aber natürlich die Frage, ob eine Erhöhung der Einnahmen gesellschaftlich gewünscht ist. Es ist ja nicht so, dass die GEMA Gewinneinbrüche hat. Im gegenteil die Einnahmen steigen ungefähr in dem Masse, wie sich auch z.b. mein Gehalt in den letzten Jahren entwickelt hat.

    1. Ja, das stimmt alles. Und sicherlich bietet das System der Liederfassung viel Raum zur Optimierung.
      Aber darum ging es mir in dem Artikel, wie schon gesagt, nicht, sondern lediglich um die Frage, ob die neuen Tarife zu dem viel beschworenen Clubsterben führen oder nicht. Und ich glaube mittlerweile nicht, dass alle Clubs ab April 2013 schließen müssen.

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