WIE SHAKESPEARE, NUR ZEITGEMÄSS

Ein kurzes Brainstorming über Wiesbaden: Landeshauptstadt. Roland Koch. Viele alte Häuser und alte Menschen. Breite Straßen und heiße Quellen. Drittligafußball. Theater, Kurhaus und ein Spielcasino, in dem Dostojewski einst die Moneten am Roulette-Tisch verzockte und sich davon zu seinem Roman „Der Spieler“ inspirieren ließ. Schon komisch, dass Surfmusik in solchen Aufzählungen immer fehlt, schließlich kommt mit den Razorblades seit 2002 eine der besten deutschen Surfbands aus der hessischen Landeshauptstadt. Doch irgendwie passt das auch wieder, denn das Trio entspricht so garnicht den typischen Surfklischees.

Statt Hawaii-Hemden tragen Rob, Ray und Regina Razorblade meist schwarzen Stoff am Körper. Songs, welche die für Surfmusik typischen Wörter „Surfin“, „Beach“ oder „Summer“ im Titel tragen, sucht man häufig vergebens. Dass man damit dem ein oder anderen Puristen auf die Füße tritt, stört Gitarrist Rob, manchen auch als Dynamite-Autor Martin Schmidt bekannt, nicht im geringsten. „Die Puristen hatten von Anfang an etwas an uns aussetzen. Sei es, dass früher unsere Haare zu lang waren oder wir zu laut und zu rockig seien. Dann war das Schlagzeug zu hart und so weiter. Uns ist das egal. Und es gibt immer einige Puristen, denen wir dann trotzdem gefallen.“

GIMME SOME NOISE!

Das neue Album „Gimme! Some! Noise!“, das erstmals auch als LP erscheint, macht da keine Ausnahme. Statt Strand, Surfboards und Bikini-Girls enthält das Booklet schwarz-weiß Fotos, die die Band auf einem Schrottplatz zeigen. Und musikalisch verspricht Martin den Hörern nicht weniger als „eine neue Form von Surfmusik“ – Surfstandards gibt’s woanders.

„Wir haben auf dem Album versucht viele neue Einflüsse zu integrieren und gehen in paar andere Richtungen. Wir haben Punk, Ska, Reggae-Einflüsse und auch ein paar rockigere Sachen dabei. Wir haben das Ganze ein bisschen vielseitiger gemacht und haben nicht mehr so strikt am reinen Surf festgehalten.“ Das Resultat: Absolut tanzbar.

GLOBAL WARMING PARTY

Und ein echtes Novum gibt es auf „Gimme! Some! Noise!“ zu hören: Den ersten richtigen Razorblades-Song mit Gesang. Warum wird bei „Global Warming Party“ plötzlich gesungen? „Wir hatten einfach Lust dazu“, antwortet Martin trocken. „Ich habe den Song geschrieben und es fehlte noch ein Teil in der Mitte. Ich dachte, ich könnte ja mal was mit Gesang probieren. Und innerhalb von fünf Minuten hatte ich den Text.“

Weiteres Neuland war für die Band der Videodreh zu „Punk! Punk! Rocker!“

„Das war eine sehr anstrengende Erfahrung. Wir haben von Samstag 15 Uhr bis Sonntag 24 Uhr gedreht und zwischendurch noch einen Auftritt gespielt und ingesamt nur fünf Stunden geschlafen“, erinnert sich Martin. Das Resultat kann man sich auf der Homepage der Band anschauen.

LET’S GO DOWN TO BRIGHTON

Dass das neue Album, das bisher vielseitigste Album in der Bandgeschichte der Razorblades geworden ist, sei keine bewusste Entscheidung gewesen, sagt Martin, aus dessen Feder alle Songs der Rasierklingen stammen. „Es hat sich in den vergangenen Jahren einfach so entwickelt, dass ich weniger Surf gehört und andere Sachen wieder entdeckt habe.“ Auch Konzertorte hätten ihren Einfluss gehabt. „Letztes Jahr haben wie in Brighton gespielt und da ist Two-Tone-Ska noch sehr präsent. Unter diesem Eindruck ist zum Beispiel „Let’s Go Down To Brighton“ entstanden.“

Ein weiterer Einfluss seien auch Konzerte mit Bands aus anderen musikalischen Genres gewesen, von denen die Razorblades in der Vergangenheit viele gespielt haben, sagt Martin. Warum eigentlich?

„Wenn man nur mit Surfbands zusammenspielt, heißt das ja, dass man sich jenseits irgendeiner Szene bewegt, da es keine wirkliche Surfszene in dem Sinne gibt. Das sind dann zwei Bands die wenig Publikumsappeal haben und das bringt ja nicht viel. Ich finde es auch fürs Publikum spannender, wenn da erst eine Rockabilly- oder Punkband spielt und dann eine Surfband.“

Im Publikum seien dann zwar häufig Besucher, die mit dem Begriff „Surf“ zunächst nicht viel anfangen können, aber meistens gewänne man das Publikum trotzdem schnell für sich, sagt Martin. „Wir spielen aggressiver und schneller und sind auch von der Show anders als eine traditionelle Surfband mit Anzügen. Das kommt live meist gut an.“ Und für schwierige Fälle habe man immer noch „Miserlou“ im Programm. Das kenne fast jeder. „Nur wenn dann nix geht, dann wird es richtig schwer.“

MISERLOU

Das kommt aber nur selten vor, denn gegangen ist bei den Razorblades schon immer was. Im Jahr 2002 gründet sich die Band, ein Jahr später erscheint das erste Album „Get Cut By The Razorblades“ und findet gleich positive Resonanz in der internationalen Fachpresse. Die ersten Konzerte werden gespielt, 2004 geht es zum ersten Mal nach Italien, weitere Konzerte in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Belgien folgen in den nächsten Jahren. 2006 erscheint das zweite Album „The Dark Side Of The Beach“, 2009 kommt „Twang Machine.“ Fast 250 Konzerte hat die Band bis heute gespielt und dieses Jahr sollen noch viele weitere dazukommen. In der ersten Jahreshälfte ist eine Tour durch Italien, Schweiz, Belgien, England, Spanien, Dänemark geplant, nur kurz unterbrochen von der Releaseparty zu „Gimme! Some! Noise!“ in Wiesbaden. In der zweiten Jahreshälfte wird dann auch wieder der Rest Republik bereist.

THE WILD WILD WEST

Das bisher größte Abenteuer steht der Band im August bevor. Dann soll es für zwei Wochen auf Tour in die USA gehen – vorausgesetzt es klappt. Es sollen ja schon Bands direkt an amerikanischen Flughäfen wieder zurück in die Heimat geschickt worden sein, bevor sie überhaupt nur amerikanischen Boden betreten konnten. Schon nervös? Martin lacht. „Nee, noch nicht. Wir kennen andere Bands, die das auch schon gemacht haben. Von denen werden wir uns beraten lassen. Und natürlich werden wir nicht mit großen Flightcases anrücken, sondern versuchen als Tourist einzureisen. Das Equipment werden wir uns dann vor Ort leihen.“

Was für Equipment wird das dann sein? Vintage-Instrumente und Verstärker? „Ich benutze zum großen Teil schon altes Equipment. Das ist mir auch wichtig, aber nicht weil das damals schon so war, sondern weil es besser klingt. Ich bin nicht der Typ, der sagt, auch Gitarrenkabel und Effektgeräte müssen von damals sein, weil alles andere nicht authentisch wäre. Das ist für uns völlig uninteressant. Man kann sich von seiner Zeit nicht lossagen“, sagt Martin. „Dass man das hören kann, finde ich vollkommen in Ordnung. Nach 40 Jahren Hawaii-Hemden und Songtiteln über das Meer und Surfbretter, hat sich das Thema meiner Meinung nach erschöpft. Die guten Surfbands kommen deshalb mittlerweile fast alle aus Europa. Die gehen ohne Scheuklappen und kreativer an die Sache heran. Sonst wirkt das wie eine historisch-korrekte Aufführung eines Shakespeare-Stückes: interessant zwar für wenige Fans, für den großen Rest aber zum Gähnen. Bei Surf ist es genauso.“

Gut, dass es Bands wie die Razorblades gibt, die versuchen Shakespeare zeitgemäß aufzuführen und uns vor dem großen Gähnen bewahren wollen.

Der Artikel ist ursprünglich im Dynamite Magazine vor etwa einem Jahr erschienen.

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